Stadtführer durch die Welt der Nachrichten

Erste Erinnerungen an das Zeitungslesen enthalten bei mir das Attentat auf Papst Johannes Paul II. Mit etwas Arithmetik lese ich daher seit mehr als 40 Jahren Zeitungen. Ich denke ich habe mit 7, 8 oder 9 Jahren angefangen. Erste Zeitungen waren die Bild Zeitung, eine mittelhessische Lokalgröße und Wochenmagazine (ich glaube der Stern). Der Spiegel war rar, ebenso wie andere Zeitungen. Im Zuge der Schulbildung kamen dann andere Publikationen hinzu. Wenn ich den Konsum der Nachrichten in den vergangenen Dekaden in mein Gedächtnis zurückrufe, dann hat sich einiges an der Art zu Lesen und an den Artikel selbst geändert. Die Texte der Nachrichtenartikel enthalten weniger Informationen. Der erste Absatz, der eigentlich den Kern der Nachricht skizzieren soll, ist zu einem Trailer für Kinofilme geworden. Man erfährt nur Fragmente, die in Frage gestellt oder offen gelassen werden. Das erleichtert das Lesen, weil die Titel oder diese Teaser schon ankündigen was zu erwarten ist. Generell verwende ich diese Regeln beim Lesen:

  • Alle Artikel mit einem Fragezeichen „?“ im Titel muss man nicht lesen. Es handelt sich um keine Nachrichten.
  • Alle Artikel mit den „Top n“ Dingen im Titel muss man nicht lesen. Es handelt sich nur um Aufzählungen, die durch die reduzierte Anzahl (meist ungerade oder 10) von Begriffen nur die Aufmerksamkeit stehlen wollen. Seriöse Artikel verzichten auf die Anzahl und erklären stattdessen im Titel worum es geht.
  • Wenn im Teaser etwas stark angekündigt und dann wieder relativiert wird, dann kann man sich das Lesen auch sparen. Meist sind es Formulierungen, die den ersten Teil des Teasers relativieren, um eine Unsicherheit und damit Neugierde zu erzeugen. Im Englisch nennt man diese Köder clickbait. Es geht ja schließlich um gute Statistiken im Newsroom Backend.
  • Manche Medien packen Blogartikel oder Kommentare in Artikelboxen und nennen es dann Diskurs, Community oder Meinung. 99,9% Prozent dieser Beiträge enthalten keine Nachrichten. Nichts gegen Perspektivwechsel, aber gleich eine ganze Sektion auf Basis von redaktionslosen Blogtexten zu importieren ist doch etwas dünn für Interessierte, die Fakten suchen.
  • Alle Artikel, deren Rückgrat ein Bild oder ein Video ist muss man nicht lesen. Wer sucht schon auf Videoportalen nach Nachrichten? Ja, es gibt Nachrichtensendungen, aber die sind dann Fernsehen (oder digital archiviert dann Streams in der Mediathek). Je redaktioneller Aufwand, desto Nachrichten. Ein Bild oder ein verwackeltes Video von einem Smartphone ist keine Information.

Ausgerüstet mit dieser Checkliste beschränkt sich das digitale Zeitunglesen auf wenige Minuten pro Tag pro Medium. Mit manchen Zeitungen ist man nach weniger als 20 Sekunden schon fertig. Da fragt man sich wozu ein Abonnement gut sein soll, wenn die Leseproben Mist sind und die vermeintlich guten Artikel hinter der Paywall versteckt werden. Marketing funktioniert anders.

Was bleibt? Ich bin auf Wochenzeitschriften umgestiegen. Ich lese gerne längere und gut vorbereitete Artikel. Bestimmte Blogs sind auch dazu in der Lage, vorausgesetzt die dargestellten Informationen sind gut recherchiert und in Text gegossen. Der Nachteil an Blogs ist die Suche danach und der damit verbundene Zeitaufwand.